WIE SEILTÄNZER
“Gehen Sie bitte mal auf dieser geraden Linie entlang!”
Das kennt man doch.
Aus dem Mund von Polizisten. Und Neurologen. Und natürlich Chiros.
Was zunächst einfach klingt (wenn man nicht getrunken hat…), kann sich als wackelige Angelegenheit erweisen.
Der Tandemgang, so nennt sich diese Seiltanzübung nämlich, ist ein klassischer Test für das Zusammenspiel von diversen Systemen:
Die Augen kreieren eine Karte vom Raum und stellen sicher, dass keine Stolperfallen vorhanden sind. Sie tauschen sich kontinuierlich mit dem Gleichgewichtsorgan im Innenohr aus. Und natürlich braucht es eine ganze Menge Information aus der Wirbelsäule darüber, wo sich die Körpermitte zu gegebenem Zeitpunkt im Raum befindet. Ihr erinnert euch vielleicht, dass wir etwas Ähnliches in WER SCHWANKT DENN DA? beschrieben haben.
Es ist wertvoll, die Koordination dieser Systeme zu testen, denn ihre gute Zusammenarbeit bedeutet für uns ganz praktisch, dass wir stabil und ohne Unfälle den Alltag bewältigen.
Denn die Vermeidung von Stürzen ist tief in dem menschlichen Nervensystem abgespeichert – sie gehört sozusagen zur obersten Priorität. Wenn Augen, Innenohr und Wirbelsäule also schlecht aufeinander abgestimmt sind, kreiert das großen Stress im Körper! Das kann dann zu diversen Symptomen führen, ganz direkt z B für Schwindel sorgen oder indirekt über kompensierende Muskelanspannung Kopfschmerzen oder eine verdrehte Haltung verursachen.
Neben dem Testen ist aber auch das Üben und Experimentieren sehr förderlich. In ÖFFNENDE IMPULSE haben wir beschrieben, dass neue Eindrücke und Perspektiven nicht nur den geistigen Horizont erweitern, sondern auch dem Körper mehr Spielraum geben.
So ähnlich ist es auch in diesem Fall.
Auf einer geraden Linie gehen mit den Armen zur Seite ausgestreckt und dem Blick starr nach vorne gerichtet mag noch relativ einfach sein – ist aber nicht besonders alltagstauglich. Zumindest sehe ich selten bis nie Menschen in dieser Haltung durch den Rewe laufen.
Im Leben brauchen wir Stabilität in den verschiedensten Körperhaltungen. Wir müssen den Kopf nach hinten drehen können, um nach Verkehr Ausschau zu halten, während unser Fahrrad aber weiter geradeaus fährt. Wenn wir auf der Straße spazieren, haben wir unseren Kopf nicht in der Mitte fixiert, sondern schauen andere Menschen oder Schaufenster an.
Wir möchten euch also dazu einladen, den Tandemgang an euch selbst und mit eurer Familie zu testen, aber auch zu üben. Hier ein paar Anregungen:
Ganz klassisch: Ein Fuß vor den anderen, die Ferse berührt die Zehen.Ohne Arme: Diese liegen eng am Körper.
Augenblick: Schau nach vorne – nach links – nach rechts – nach oben – nach unten – im Wechsel. Oder lass die Augen mal geschlossen.
Graf Zahl: Zähle in Dreirschritten rückwärts von 100 runter, während du gehst. Oder alle Primzahlen.
Melodisch: Sing ein Lied, während du dem Tandemgang machst.
Kalendarisch: Nenne jeden zweiten Wochentag.
Verkehrt herum: Gehe den Tandemgang rückwärts.
Seid kreativ! Habt Spaß! Und geht in dem sicheren Wissen, euer Körpersystem nicht nur für die nächste Polizeikontrolle, sondern vor allem für das tägliche Leben bestens vorbereitet zu haben.